Vor dem Hintergrund der wachsenden Bevölkerungsdichte stellt die Mobilität im städtischen Raum eine der größten Herausforderungen dar. Zunehmende CO2-Emissionen, Wohnungsmangel und die Unzulänglichkeit der herkömmlichen Transportsysteme erfordern neue Lösungen bei der individuellen Fahrzeugnutzung. Als eine Lösung im neuen Modell der Städteentwicklung zeichnet sich Shared Mobility ab. Obwohl das Angebot an Elektrorollern auf dem Markt sehr gute Zukunftsaussichten hat, bietet es derzeit keine Möglichkeiten für das neue Konzept der Shared Mobility und die demographische Situation mancher Innenstädte. Das durch das Programm Portugal 2020 geförderte Projekt Mobinext begegnet dieser Herausforderung. Das Ziel: die Entwicklung eines neuen Elektroroller-Modells für Shared Mobility in Innenstädten.
Im Rahmen des Projekts arbeiten portugiesische Unternehmen und Forschungszentren wie AJP, Almadesign, CEiiA, CITNM und Wyze zusammen. Basierend auf portugiesischem Know-how wollen sie einen neuartigen Elektroroller entwickeln, der besser an die Herausforderungen unserer Innenstädte angepasst ist. Die Projektpartner planen die Entwicklung eines ultraleichten Elektrorollers mit innovativer Konstruktion und Design, einer neuen Antriebsintegration sowie einem Konnektivitätsmodul. Das Gerät soll ergonomische Grundsätze besser umsetzen und eine bessere, einfachere und sicherere Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglichen. Für das Mobility Sharing wird die Arbeitsgruppe zudem eine neue Plattform entwickeln, die mithilfe von KI und IoT-Technologien Konnektivität und Integration verbessern und den Betrieb optimieren soll.
Die Arbeitsgruppe
Das Unternehmen AJP ist auf die Gestaltung, die Herstellung und den Vertrieb von Motorrädern spezialisiert. Derzeit ist AJP der einzige portugiesische Motorradhersteller. Das Unternehmen steht für Kreativität und technologische Innovation bei der Entwicklung neuer Motorradmodelle. Von Beginn an sind diese Werte Teil des Markenkerns gewesen. Beim Projekt Mobinext ist AJP ist federführend und stellt die erforderlichen Kompetenzen für die Gestaltung und Herstellung der Rollerkomponenten zur Verfügung.
Almadesign konzentriert sich auf die designbasierte Förderung von Innovationen. Das Unternehmen bringt so Menschen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zusammen. Die Schwerpunkte liegen dabei auf technologiebasierter Entwicklung, nutzerorientierten Verkehrslösungen (in der Luft, auf der Straße und zu Wasser), industriellen Anlagen, elektronischen Geräten, Möbeldesign und Innenausstattung. Im Rahmen des Projekts Mobinext verantwortet Almadesign die Gesamtgestaltung des Rollers sowie die Öffentlichkeitsarbeit für die Neuentwicklungen.
CEiiA ist ein Kompetenzzentrum für Konstruktion und Produktentwicklung, in dem neue Technologien, Produkte und Dienstleistungen für eine nachhaltigere Gesellschaft konzipiert, entwickelt und schließlich produziert werden. In Hochtechnologiesektoren wie der Automobilindustrie oder der Luft-, See- und Raumfahrt dient das Zentrum als Bindeglied zwischen Stadtverwaltungen, Industrie und Universitäten. Im Rahmen des Projekts wird CEiiA das Konnektivitätsmodul sowie das Managementsystem des Rollers entwickeln.
Das Centre for Innovation and Technology
- Mahalingam (CITNM) ist eine gemeinnützige Organisation, deren Ziele hauptsächlich in der Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation (FEI) sowie in der technischen Metallurgieausbildung für die Gießerei- und Automobilbranche liegen. CITNM fördert die fachliche Ausbildung, die Zusammenarbeit und den Technologietransfer zwischen Unternehmen, Organisationen und anderen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Trägern. So schafft die Organisation Synergien und erhöht die FEI-Kapazitäten. Zum Projekt Mobinext trägt das CITNM sein Know-how im Bereich der Metallurgie und Gießverfahren bei, um vor allem die Entwicklung des hinteren Schwenkarms und der Seitenholme des Rollers voranzubringen.
WYZE ist ein Start-up, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Innenstädte für mehr Lebensqualität mit technologiebasierten, innovativen Micro-Mobility-Lösungen auszustatten. Der Ansatz von Wyze basiert dabei auf dem Leben als Ganzem: Mobilität ist dabei eine stets präsente Notwendigkeit im Leben der Menschen. Die Zielgruppe des Unternehmens sind all jene, die sich praktisch und effizient fortbewegen und dabei umweltschädliche und gesellschaftliche Auswirkungen reduzieren wollen. Am Ende des Projekts wird Wyze die Integration der Elektroroller in den Innenstädten übernehmen.
Hauptziele des Projekts
Die Projektpartner möchten die Fortbewegung innerhalb der Innenstädte revolutionieren. Dafür entwickeln sie ein elektrisches Rollermodell mit einem eigenen Managementsystem. So soll nicht nur die Kommunikation zwischen den Fahrzeugen, sondern auch eine organischere Interaktion zwischen Mensch und Maschine ermöglicht werden. Die Hauptziele des Projekts sind wie folgt:
- Konzeption, Gestaltung, Entwicklung und Erprobung eines neuen Elektrorollers für Shared Mobility
- Entwicklung eines Backend-Moduls für das Betriebsmanagement sowie einer mobilen App zur Steuerung des Benutzererlebnisses
- Entwicklung des Konnektivitätsmoduls für den Roller
- Entwicklung wettbewerbsfähiger Fahrzeugkonstruktionen aus fortschrittlichen Aluminiumlegierungen mittels additiver Fertigung in Kombination mit Gießverfahren
- Demonstration und Bewertung des Beitrags, den die Lösung zur Shared Mobility leisten kann, inklusive der Erstellung und Einbindung einer Pilottestgruppe bereits während des Entwicklungsprozesses für Produkt und Dienstleistung
Abbildung 1 zeigt das von Almadesign entwickelte Design des Elektrorollers.
CITNM entwickelt zwei Konstruktionsteile des Elektrorollers, die mittels Sandgussverfahren aus einer Aluminiumlegierung hergestellt werden. Wegen ihrer hohen Bedeutung im Entwicklungsprozess fiel die Wahl des CITNM auf den hinteren Schwenkarm sowie den rechten und linken Seitenholm des Rollers.
Der Prozess – von der Entwicklung und Optimierung bis hin zur Serienproduktion – ist unten dargestellt. Der Guss der Prototypenteile wurde durch das Unternehmen Firmago – Fundição de Alumínios, S.A in Portugal durchgeführt.
Hinterer Schwenkarm
Unter den Bauteilen ist der hintere Schwenkarm der Höhepunkt der Entwicklungsleistung. Er verbindet das Antriebsrad mit dem Fahrgestell und der Federung des Rollers.
Das Hauptziel bei der Entwicklung dieses Bauteils war seine Gewichtsreduzierung und damit des Gesamtgewichts des Rollers, ohne dessen mechanische Eigenschaften (d. h. seine Festigkeit) zu beeinträchtigen.
In einem ersten Schritt wurde mittels generativem Design die herkömmliche Konstruktion des Schwenkarms optimiert. Das Ergebnis dieses Prozesses diente dann als Grundlage für die finale Auslegung des hinteren Schwenkarms am Mobinext-Roller.
Mit dieser Anpassung, weg von der herkömmlichen hin zu einer optimierten Gestaltung, konnte unter Verwendung derselben Aluminiumlegierung eine Gewichtsreduzierung von 10 Prozent erzielt werden.
- A356.0. Trotz dieser bereits beachtlichen Leistung wurden einige zusätzliche Anpassungen vorgenommen, um das Gewicht weiter zu reduzieren.
Ein Vergleich der Festigkeit verschiedener Aluminiumlegierungen im Sandgussverfahren zeigte, dass mit dem Wechsel von A356.0 auf A357.0 die Dicke weiter reduziert werden könnte. Tabellen 1 und 2 zeigen die chemische Zusammensetzung sowie die mechanischen Eigenschaften/Festigkeit beider Legierungen.
Nach der Neugestaltung des hinteren Schwenkarms kam die Herausforderung seiner Produktion. Aufgrund der Teilegeometrie war eine Nutzung herkömmlicher Sandformen nicht möglich. Deshalb wurde der Schwenkarm mithilfe einer 3D-gedruckten Sandform gegossen.
Um die Form zu drucken, war es zunächst notwendig, das Angusssystem mit all seinen Besonderheiten abzubilden. Die Entwicklung und Herstellung der Form im 3D-Druck wurde über eine Partnerschaft zwischen dem CITNM und BAMM (in Spanien) realisiert.
Aus technischen Gründen wurde die Form in fünf Einzelteilen gedruckt, die vor dem Gießprozess zusammengesetzt wurden. Nach dem Gießen wurde die Sandform zerstört, um das Gussteil zu entnehmen.
Am Ende wurde das Gussteil wärmebehandelt (T6), maschinell nachbearbeitet und lackiert, bevor es schließlich im Prototypen des Elektrorollers verbaut werden konnte. Dies war der erste Prototyp des hinteren Schwenkarms, der im Rahmen des Projekts Mobinext produziert wurde. Um alle Optimierungspotenziale restlos auszuschöpfen, werden noch weitere Anpassungen sowohl am Bauteil als auch am Prozess folgen.
Seitenholme
Durch die Entwicklung metallischer Seitenholme für den Elektroroller sollten vor allem deren Festigkeit erhöht und mögliche Aufprall- bzw. Fallschäden minimiert werden.
Die Seitenholme – rechts und links – wurden ebenfalls im Sandgussverfahren gefertigt. Wie beim hinteren Schwenkarm kam auch hier die Aluminiumlegierung A357.0-T6 zum Einsatz. Aufgrund der Abmessungen (940x600 mm) und Gestaltung der Teile werden diese oft im Spritzgussverfahren hergestellt, auch wenn es sich dabei nicht um ein innovatives Fertigungsverfahren handelt Die Entscheidung fiel auf dieses Verfahren, da das Ziel sowohl ein robustes Bauteil als auch eine Optimierung der Prozessparameter sein sollte, denn die Holme verfügen über eine Reihe geometrischer Einschränkungen, die hier zu überwinden waren. Die Holmprototypen wurden erfolgreich gegossen und in den Elektroroller eingebaut.
Präsentation des Prototypen
Das Projekt Mobinext befindet sich im letzten Jahr seiner Entwicklung.
Der Prototyp des Elektrorollers wurde am 8. November 2022 auf der EICMA, der internationalen Ausstellung für Motorräder und Motorrad-Zubehör in Mailand, vorgestellt (Abbildung 9). Der Roller überzeugt durch den Aluminiumrahmen, das geringe Gewicht, den leistungsstarken Elektromotor sowie den außergewöhnlich breiten Vorderreifen, der auch auf unebenem Grund bessere Fahreigenschaften bietet. Mit diesen Eigenschaften begeisterte der Prototyp die Besucherinnen und Besucher der EICMA. Die austauschbaren Akkus sind unter dem Sitz untergebracht, was den Batteriewechsel erheblich erleichtert. Der Helm wird ebenfalls im Sitz verstaut. Geplant ist außerdem die Anbringung eines Topcase, um einen weiteren Helm für etwaige Mitfahrende unterzubringen.
Die ersten Straßenerprobungen des neuen Modells sind für den Beginn des Jahres 2023 geplant. Das Projekt Mobinext endet im Juni 2023 mit der landesweiten Vorstellung des finalen Prototypen.
Weitere Informationen über Mobinext unter: Home | Citnm