Die Nachfrage nach grünem Stahl wird innerhalb der nächsten 5-10 Jahre rasch steigen, das Angebot bleibt knapp – das ist eine der Kernaussagen vom Treffen des europäischen Stahlhändlerverbands Eurometal am 16. Mai in Zürich.
Die Nachfrage nach grünem Flachstahl wird bis zum Jahr 2030 auf rund 49 Millionen Tonnen ansteigen, wie Guido Kerkhoff, Vorstandsvorsitzender des Stahlhändlers r Klöckner & Co SE, in seiner Präsentation unter Berufung auf Zahlten der Unternehmensberatung BCG aufzeigte. Die Analysen gehen davon aus, dass in Europa zwischen 2025 und 2030 mehr als 45 Millionen Tonnen neuer Kapazitäten für die Erzeugung von grünem Flachstahl über die Route Elektrolichtbogenöfen (EAF) und Schrott bzw. EAF-DRI (direkt reduziertes Eisen) in Betrieb genommen werden, wobei sich der Kapazitätsausbau bis 2030 um etwa 15 Millionen Tonnen verzögern dürfte. „Die Zahlungsbereitschaft der Kunden macht den Unterschied auf angespannten Märkten aus“, sagte Kerkhoff.
Einige Mitglieder des Stahlhandelsverbands schätzen, dass die in Europa gehandelten Mengen an grünem Stahl im Jahr 2023 unter 100 000 Tonnen lagen wobei die meisten Schätzungen von etwa 50 000-70000 Tonnen ausgingen. Nur wenige Stahlerzeuger sind der Lage, CO2-arm produzierten grünen Stahl anzubieten, dessen Emissionen durch Umweltproduktdeklarationen [EDPs] unter 1 Tonne CO2 pro Tonne Stahl [für Scope 1,2,3] nachgewiesen werden, wie ein Händler hervorhob. Zwar lasse sich Netto-Null-Emissionen auch mit Kompensationen erreichen, doch einige Käufer lehnten das als Greenwashing ab und weigerten sich, mit solchem Stahl zu handeln, sagte laut Branchenverband ein Händler.
Transparenz: Entscheidendes Kriterium für grünen Stahl
In den letzten Jahren haben die europäischen Stahlerzeuger ihre Anstrengungen zur Verringerung des Kohlenstoffausstoßes verstärkt und es ist ein neuer Markt für Stahl mit einem geringeren Kohlenstoff-Fußabdruck entstanden. Die großen Stahlerzeuger bieten ihre eigenen CO2-reduzierten Stahlmarken unter Bezeichnungen wie XCarb, Arvzero, SSAB Zero, Bluemint, Greentec usw. an. Was nach Ansicht der Stahlhändler aber immer noch fehle, sei ein gemeinsamer Standard für grünen Stahl. „Der Product Carbon Footprint (PCF) ist das einzige Kriterium für die Vergleichbarkeit, um die wachsende Kundennachfrage nach Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu erfüllen“, sagte Kerkhoff.
„Wir brauchen ein koordiniertes Vorgehen der gesamten Branche, einen einfachen Ansatz, der für alle Mitglieder anwendbar ist“, forderte Andreas Steffes, Geschäftsführer von Handel Schweiz, bei seinem Vortrag. Transparenz über die Emissionen in der Lieferkette soll die PCF-Deklaration schaffen, indem sie die Emissionen unter Scope 1 und 2 (direkte Emissionen, die von einem Unternehmen oder seinen Tochtergesellschaften erzeugt werden sowie indirekte Emissionen aus der von einem Unternehmen verbrauchten Energie) und auch den vorgelagerten Scope 3 erfasst, also indirekte Emissionen, die aus Quellen außerhalb der Kontrolle eines Unternehmens stammen. „Mit einer PCF-Erklärung sind auf Kundenseite keine Emissionsschätzungen mehr erforderlich... [PCF-Erklärungen] umfassen Emissionen von der Rohstoffgewinnung bis zur Ankunft des Materials am Werkstor des Kunden“, ergänzte Kerkhoff.
Kunden werden immer anspruchsvoller
Die Anforderungen der Kunden an den Kohlenstoff-Fußabdruck von Stahlprodukten steigen stetig. „Der Autohersteller BMW beispielsweise will bis spätestens 2050 klimaneutral sein, wobei der Anteil an recyceltem Material in seinen Produkten auf mindestens 95 % festgelegt ist und der Ansatz lautet, wann immer möglich EAF-Stahl zu verwenden", sagte Stefan Feichtinger, Senior Manager ESG Corporate Technology bei der Swiss Steel Group. Wettbewerber Volvo hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 einen Anteil von 25 % und bis 2030 einen Anteil von 35 % recycelten Stahl und biologischen Materialen in seinen neuen Automodellen zu verwenden.
Zur Zeit wird 40 % des europäischen Stahls aus Schrott im Elektrolichtbogenofen (EAF-Route) hergestellt, was einen CO2-Fußabdruck von rund 700 kg pro Tonne Stahl bedeutet. Hauptsächlich werden auf diese Weise Langstahlprodukte hergestellt. Nur etwa 1 % stammt aus der DRI-EAF Route (1,3-1,4 Tonnen CO2-Fußabdruck) mit direktreduziertem Eisen (DRI), während der Großteil der Stahlproduktion über die kohlebasierte Hochofenroute im Sauerstoff-Blasstahlkonverter (BF-BOF-Route) mit 2 bis 2,3 Tonnen CO2-Fußabdruck hergestellt wird.
Herausforderungen bei der Rohstoffversorgung
Der schrittweise Übergang von der herkömmlichen BF-BOF-Route zur EAF- oder EAF-DRI-Route stellt den Stahlsektor vor zahlreiche Herausforderungen. Die DRI-EAF-Route erfordert hochwertiges Eisenerz mit einem hohen Fe-Anteil und geringen Verunreinigungen. Nur weniger als 5 % des weltweiten Eisenerzangebots sind für die Produktion geeignet, wie Stefan Feichtinger aus Zahlen des Eisenerzlieferanten BHP zitierte. Die Lösungen könnten sein:
- Bergbau mit der Erschließung neuer Minen hochwertiger Eisenerze
- Weiterverarbeitung der vorhandenen Erze zur Verbesserung des FE-Gehalts
- Technologische Lösungen wie die Direktreduktion mit Einschmelzer (Elektroschmelzofen, ESF) zur Verflüssigung des DRI und Beibehaltung des Sauerstoff-Blasstahlkonverters zur Stahlerzeugung (DRI- ESF-BOF) und die Direktreduktion mit Wirbelschichttechnologien (ohne vorgeschaltete Agglomerationsschritte wie Sintern oder Pelletieren), die eine Verarbeitung von Feinerzen mit geringerer Qualität ermöglicht
Eine weitere große Herausforderung könnte die steigende Nachfrage nach Schrott zur Beschickung neuer EAF-Kapazitäten sein. Zur Beschickung neuer Flachstahlkapazitäten müssten die Unternehmen hochwertige Schrottsorten mit geringeren Verunreinigungen kaufen, die für die Flachstahlproduktion geeignet sind. Die EU ist der größte Nettoexporteur von Schrott in der Welt. Das Schrottexportvolumen der Staatengemeinschaft lag im Jahr 2023 bei 18,5 Millionen Tonnen, ein Anstieg um 7 % gegenüber 17,4 Millionen Tonnen im Jahr zuvor.
Ab 2025 ist für die Ausfuhr von Eisen- und Nichteisenmetallschrott in Länder, die nicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) angehören, eine formelle Genehmigung erforderlich. Diese Empfängerländer müssen außerdem nachweisen, dass sie in der Lage sind, den Schrott effektiv zu verwalten und eine verantwortungsvolle Handhabung und Wiederverwertung zu gewährleisten. Diese Änderung könnte die EU innerhalb von fünf Jahren von einem Nettoexporteur von Schrott zu einem Importeur machen.
Stahl ist Teil der Lösung
Nach Angaben des Weltststahlverbands worldsteel verursacht die Stahlerzeugung etwa 8 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen. Dennoch ist der Kohlenstoff-Fußabdruck der Stahlerzeugung im Vergleich zu anderen Materialindustrien - wie der Kohlefaserindustrie mit etwa 20 Tonnen CO2 pro Tonne Kohlefaser und der Aluminiumindustrie mit 5-8 Tonnen CO2 pro Tonne - geringer. Zudem ist Stahl ein wiederverwertbares Produkt und verbleibt im Stoffkreislauf.
Mit neuen Technologien kann umweltschonender „grüner“ Stahl hergestellt und von verschiedenen Branchen verwendet werden. Die Kosten sind dabei nicht das Problem. Die Verwendung von grünem Stahl erhöht den Preis des Endprodukts nur geringfügig, so Guido Kerkhoff. Insbesondere in der Automobilindustrie würde die Verwendung von grünem Stahl den Preis für Autos nur um 0,3-0,7 % und für Haushaltsgeräte um 1,7-3,6 % ansteigen lassen. Für Onshore- und Offshore-Windtürme würden die Kosten um 1,6-3,4 % bzw. 2,6-5,5 % steigen. „Stahl ist Teil der Lösung [auf dem Weg zur Dekarbonisierung] und trägt wesentlich zur Dekarbonisierung der Wertschöpfungskette in vielen Branchen bei“, sagte Guido Kerkhoff.
Quelle: EurometalFastmarket