Im Zuge des Forschungsprojekts HyPat führte das Fraunhofer ISI eine Metastudie durch, in der vorhandene Untersuchungen zur Erzeugung, Produktion und zum Handel mit Wasserstoff analysiert wurden. Die gewonnenen Erkenntnisse, die in einem Impulspapier zusammengefasst sind, dienten als Grundlage für die Formulierung von Handlungsempfehlungen für eine deutsche Importstrategie für Wasserstoff. Diese Empfehlungen machen eine klare Unterscheidung zwischen dem Import von reinem Wasserstoff und dem von Wasserstoffderivaten.
In der aktualisierten Wasserstoffstrategie der Bundesregierung wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2030 etwa 50 bis 70 Prozent des prognostizierten Bedarfs an Wasserstoff durch Importe gedeckt werden müssen. Angesichts dieser Ausgangslage analysierte ein Forschungsteam des Fraunhofer ISI im Rahmen des vom BMBF unterstützten Projekts HyPat eine Vielzahl von Studien. Diese befassten sich mit den Kosten für die Herstellung und den Transport sowie mit den potenziellen internationalen Handelsströmen von grünem Wasserstoff und dessen Derivaten. Auf Basis dieser Analyse wurden Handlungsempfehlungen für eine effektive deutsche Importstrategie für Wasserstoff formuliert.
Die analysierten Studien prognostizieren, dass die weltweite Wasserstoffnachfrage bis zum Jahr 2050 zwischen 4 und 11 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs ausmachen wird. Bei einem Vergleich des globalen Angebots mit dem Bedarf zeigt sich, dass die Nachfrage nach grünem Wasserstoff selbst unter restriktiven Bedingungen, wie dem Ausschluss von Regionen mit Wasserknappheit oder geopolitischen Unsicherheiten, gedeckt werden kann. Allerdings gibt es derzeit zahlreiche Barrieren, die einen schnellen Marktanstieg verhindern, weshalb der Hochlauf momentan nur zögerlich erfolgt.
Gemäß den Erkenntnissen aus verschiedenen Studien sind für die Stromgewinnung zur Produktion von Wasserstoff insbesondere Standorte mit hervorragenden Bedingungen für Photovoltaik, idealerweise ergänzt durch gute Windverhältnisse, am vorteilhaftesten, da hierdurch die Herstellungskosten am niedrigsten ausfallen. Potenzielle Exportnationen sollten darüber hinaus Zugriff auf kostengünstige Finanzierungsmöglichkeiten und nationale Fonds besitzen, um die Kapitalkosten, die einen wesentlichen Anteil der Gesamtkosten ausmachen, gering zu halten. Weitere wichtige Faktoren sind die Verfügbarkeit von Wasser, politische Stabilität, technologisches Fachwissen und die Entfernungen, die für den Transport zurückgelegt werden müssen.
Es wird erwartet, dass der globale Handel mit Wasserstoff zwischen 2030 und 2050 lediglich ein Drittel des gesamten Bedarfs decken wird, da der Importbedarf allgemein relativ niedrig ist. Viele Nationen, wie zum Beispiel die USA oder China, sind voraussichtlich in der Lage, ihren Bedarf an Wasserstoff größtenteils eigenständig zu befriedigen. Für Deutschland trifft dies jedoch nicht zu. Angesichts der kurz- bis mittelfristig erwarteten hohen Kosten und geringen Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff und seinen Derivaten sollte eine Importstrategie vorrangig Sektoren ins Auge fassen, in denen die Klimaziele nur mit Einsatz von Wasserstoff realisierbar sind. Dazu zählen insbesondere die Stahl- und Grundstoffchemie, der internationale Flug- und Schiffstransport sowie Raffinerien.
Einige potenzielle Exportnationen für Wasserstoff und dessen Derivate planen, künftig größere Teile der Wertschöpfungskette im eigenen Land zu behalten. Statt reinen Wasserstoffs könnten sie beispielsweise Eisenschwamm für die Stahlproduktion oder chemische Produkte wie Ammoniak exportieren. Dies stellt die deutsche Industrie vor neue Herausforderungen. Länder wie die USA, die über umfangreiche und kostengünstige Möglichkeiten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff verfügen und bereits heute signifikante Marktanteile in industriellen Bereichen halten, in denen Wasserstoff eine zunehmend wichtige Rolle spielen wird, könnten zu führenden Akteuren aufsteigen, indem sie verschiedene Segmente der Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff in ihre Produktion und industriellen Anwendungen integrieren.
Der Handel mit reinem Wasserstoff wird sich voraussichtlich auf weitläufige regionale Märkte konzentrieren, die einen Umkreis von 2.000 bis 3.000 Kilometern umspannen. Dabei wird der Transport per Pipeline aufgrund seiner Kosteneffizienz wahrscheinlich die dominierende Rolle spielen, während der Import per Schiff mehr als eine Absicherung gegen Risiken fungieren dürfte. Im Gegensatz dazu ist bei Wasserstoffderivaten die Entstehung eines internationalen Marktes zu erwarten, ähnlich den heutigen Märkten für Öl, mit einer zentralen Bedeutung des Schiffstransports.
Mit Blick auf Handlungsempfehlungen sollte der Metastudie zufolge eine deutsche Importstrategie klar zwischen Wasserstoff und Wasserstoffderivaten unterscheiden.
Beim Import reinen Wasserstoffs sind folgende Aspekte zu beachten:
- Infrastrukturaufbau: Der Aufbau eines Pipelinenetzes ist zeit- und kapitalintensiv, ließe sich aber aufgrund eines langsam anlaufenden Markthochlaufes realisieren.
- Aus Erfahrungen lernen: Fehler beim Auf- und Ausbau des Gasnetzes wie die starke Fokussierung auf wenige Anbieter wie Russland gilt es zu vermeiden. Daher sollte nicht automatisch der kosteneffizienteste Importpfad gewählt werden.
- Nachfragereduzierung: Durch Effizienz und Fokus auf wirklich notwendige Wasserstoff-Anwendungen wird die Nachfrage von vornherein begrenzt.
- Diversifizierung: Durch verschiedene Lieferanten, Routen und Verkehrsträger sowie heimische Produktion gewisser Mengen werden Abhängigkeiten reduziert.
- Widerstandsfähigkeit stärken: Diese lässt sich durch heimische Speicherung von Wasserstoff erhöhen, die Vorbereitung auf Versorgungsengpässe sollte ausgeweitet werden.
- Marktdifferenzierung: Unterschiedliche Anforderungen an die Herstellung von Wasserstoff, etwa bezüglich Umweltstandards, begünstigen die Entstehung kleiner Märkte und höherer Preise, was aus Gründen der Wirtschaftlichkeit sowie der Investitions- und Versorgungssicherheit zu vermeiden ist.
- Importe aus der EU und EU-Anrainerstaaten bevorzugen: Deutschland sollte sich aus einer wirtschaftlichen Perspektive auf EU-Staaten mit guten Erneuerbaren-Potenzialen wie Spanien und EU-Anrainerstaaten wie Norwegen konzentrieren. Diese sind verlässliche Partner und die EU würde insgesamt gestärkt.
Für die Importstrategie für Wasserstoffderivate ist folgendes zu berücksichtigen:
- Konkurrenz und Kooperation: Deutschland sollte insbesondere Japan und Südkorea – die beiden anderen Länder mit hohen Importbedarfen – als Konkurrenten, aber auch als mögliche Kooperationspartner betrachten.
- Wasserstoff-Allianz: Aus Gründen der Marktmacht sollte eine gemeinsame Position mit EU-Importländern wie der Niederlande und Belgien beziehungsweise der EU insgesamt gesucht werden, etwa in einer europäischen Wasserstoff-Allianz.
- Differenzierung nach Derivatien: Eine Importstrategie sollte die Spezifika bei Wasserstoffderivaten wie eKerosin, Ammoniak oder Methanol berücksichtigen.
- eKerosin wird zum Erreichen der Klimaschutzziele im Flugverkehr benötigt, Alternativen gibt es so gut wie keine. Bestehende Importinfrastrukturen können weiter genutzt werden.
- Methanol lässt sich als Treibstoff und in der chemischen Industrie als Grundstoff einsetzen. Bisher gibt es aber nur wenig Infrastruktur und Schiffe zum Transport.
- Ammoniak ließe sich als Träger für Wasserstoff nutzen, was jedoch mit hohen Umwandlungsverlusten verbunden und daher kostspielig ist. Für eine Direktnutzung kommt künftig der Schiffsverkehr und unter Umständen auch die Stromerzeugung in Frage, wobei für letzteres noch ein hoher Entwicklungsaufwand nötig ist.
Prof. Dr. Martin Wietschel, der am Fraunhofer ISI das Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme leitet und Mitautor des HyPat-Impulspapiers ist, fasst mit Blick auf die Metastudie zusammen: „Die Bundesregierung wird im Frühjahr ihre Wasserstoff-Importstrategie vorstellen. Dafür gilt es eine Reihe von Aspekten zu beachten, allen voran Wasserstoff und Wasserstoffderivate separat zu betrachten. Gerade weil der Importbedarf international begrenzt sein wird, muss Deutschland in Abstimmung mit der EU schon jetzt auf potenzielle Exportländer zugehen, die mittelfristig eine bedeutende Marktmacht erlangen werden. Verhandlungen sollten nicht in die Länge gezogen werden, damit Erstanbieter nicht andere Importeure in Betracht ziehen. Daher gilt es mit Exportländern gemeinsam und auf Augenhöhe Technologien und Geschäftsmodelle zu entwickeln und Risiken fair zu verteilen. Dies schafft nicht nur lokale Wertschöpfung, sondern treibt zugleich lokale Energiewenden voran – und hilft am Ende vor allem auch Deutschland bei der Erreichung seiner eigenen Klimaziele“.