In der Vergangenheit war vielen Unternehmen der wirtschaftliche Erfolg wichtiger als der Schutz der Umwelt. Heute aber wird allgemein anerkannt, dass sowohl der Umweltschutz als auch die Wirtschaftlichkeit global notwendige Existenzgrundlagen darstellen. Daher sehen Industrieunternehmen nun immer konsequenter den Umweltschutz als zentralen Aspekt ihrer Geschäftstätigkeit bei der Entwicklung innovativer Produkte. EU-Vorgaben fordern konsequente Emissionsreduktion. Dazu gehören auch der BVT-Prozess (Referenzrahmen für die beste verfügbare Technik) sowie die neue TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft).
In der von Haus aus energie- und emissionsintensiven Gießereibranche besteht ein hohes Interesse daran, Energie einzusparen und Emissionen zu reduzieren oder vollständig zu eliminieren. Kommt flüssiges Metall in Kontakt mit Formmaterial und Kern, werden organische Stoffe oft in schädliche oder gar toxische Reaktionsprodukte zersetzt. Diese Emissionen erfordern zunehmend komplexe Maßnahmen, damit die Schadstoffe nicht in die Umwelt gelangen. Bei organischen Bindemittelsystemen schreitet die Entwicklung zur Reduktion von Schadstoffen stetig voran. Allerdings werden auch in absehbarer Zeit noch keine emissionsfreien organischen Bindemittelsysteme verfügbar sein.
Bei heißhärtenden anorganischen Bindemitteln, die auf Wasserglas bzw. Natriumsilikat basieren, sieht dies anders aus. Anorganische Bindemittel dieses Typs erzeugen nahezu keine relevanten Emissionen. Während des Gussprozesses tritt höchstens etwas Wasserdampf aus. In den vorgelagerten Prozessschritten gibt es keinerlei Geruchsentwicklung. Die heutigen Wasserglasbindemittel weisen sehr gute technologische Eigenschaften auf, und auch bei den spezifischen Herausforderungen des Prozesses, wie etwa beim Entkernen, gibt es große Fortschritte. Bei der Implementierung des anorganischen Bindemittelsystems in einer vergleichsweise kleinen Gießerei stellte vor allem das einfache Entkernen eine Herausforderung dar, die es zu meistern galt.
Nach eingehender Forschung und Entwicklung hat die Gießerei Hansgrohe SE in Zusammenarbeit mit der Reinsicht GmbH und KLEIN Anlagenbau AG einen entscheidenden Schritt hin zur nachhaltigeren Produktion getätigt.
Das Engagement von Hansgrohe SE für mehr Nachhaltigkeit wurde auch durch die Verleihung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises 2024 gewürdigt. Auch die internen Fertigungsprozesse werden Schritt für Schritt für mehr Nachhaltigkeit optimiert. Im aktuellen Projekt lag der Schwerpunkt insbesondere auf der Verbesserung der Luftqualität sowie der Vermeidung schädlicher Stoffe und Abfälle.
Im Rahmen ausgedehnter vorgelagerter Testserien entwickelten Reinsicht und Hansgrohe SE ein Bindemittelsystem, mit dem die Anforderungen an die Kernsandmischung umgesetzt werden konnten. Die erforderliche Bindemittelmenge wurde reduziert, bis diese mit der des organischen Bindemittels vergleichbar war. Im Ergebnis stand ein akzeptables Schussverhalten, bei dem Gasporosität und Lunker vermieden werden konnten. Auch das Entkernen war ein wichtiger Aspekt. Die bestehende Kugelstrahlanlage war auf organische Bindemittel ausgelegt, konnte jedoch auch ohne Umrüstungsmaßnahmen oder zusätzliche Ausrüstungsteile weiter betrieben werden.
Die Kernschießmaschinen wurden modifiziert, um den Anforderungen des anorganischen Bindemittels mit vertretbarem Aufwand gerecht zu werden. Insbesondere wurden Maßnahmen ergriffen, welche die Kernsandmischung vor dem Austrocknen schützen sollten. Für den Mischvorgang selbst benötigte der Sandmischer keine weiteren Anpassungen. Die Kernschießwerkzeuge dagegen mussten erheblichen Modifikationen unterzogen werden. Bei neuen Produkten wurden die bisherigen Erfahrungen in die Konstruktion der neuen Werkzeuge einbezogen. Auch die Prozessparameter für das Kernschießen mussten selbstverständlich an das nun chemisch und physikalisch andere Bindemittelsystem angepasst werden. Die Taktzeiten haben sich jedoch nicht signifikant verändert. Die Lagerfähigkeit der Kerne unter Wetterbedingungen mit hoher Luftfeuchtigkeit erfordert nur wenig zusätzlichen Arbeitsaufwand.
Reinsicht widmet sich der Entwicklung umweltfreundlicher wasserglasbasierter Bindemittel. „Der Schutz der Ökologie ist unsere Pflicht, die Ökonomie ist unser Interesse.“ Dies ist eines der Leitprinzipien, die das Unternehmen bei seinen Entwicklungen anwendet.
Mit „BF“ (kurz für „Best Fit“) hat Reinsicht ein neues wirtschaftliches Bindemittelsystem auf den Markt gebracht, das während der Dosierung und Mischung ein sicheres und reproduzierbares Handling, vergleichsweise einfaches Entkernen sowie eine akzeptable Gussoberflächenqualität gewährleistet. Auch die gute Regenerierbarkeit des gebrauchten Kernsandes war ein wichtiger Aspekt während der Entwicklung des Produkts.
Das Bindemittelsystem besteht aus drei Komponenten: Kleber, Trennmittel und Additiv. So kann für jede dieser Komponenten eine spezifische Kombination von Eigenschaften sichergestellt werden. Damit kann die Kernsandmischung in jeder Mischercharge individuell an die spezifischen Anforderungen und Produktionsbedingungen verschiedener Kerngeometrien angepasst werden. Die Flüssigdosierung hat den Vorteil, dass keine Rückstände im Mischer verbleiben. Bei Pulverdosierung können solche Rückstände Probleme verursachen. Zudem erzeugt der Quarzsand während der ersten Dosierungsphase nur wenig Staub, wodurch sich die Arbeitsbedingungen in der Gießerei weiter verbessern.
Um die spezifischen Eigenschaften des Bindemittels wie gefordert zu optimieren, besteht eine der drei Komponenten aus einer wässrigen Suspension, die bis zu 70% Festkörpermassenanteil enthält. In der Keramikindustrie wird diese Suspension auch Schlicker oder Schlämme genannt. Im Ruhezustand sedimentieren die Feststoffe und bilden eine thixotrope Schlämme, die jedoch wieder aufgelöst werden kann. Durch den Feststoffanteil wirkt der Schlicker wie ein natürliches Schleifmittel.
Die Vortests mit verpflichtender Dosierung der Bindemittelkomponenten sowohl mit dem Mischer als auch mit Messbechern von Hand resultierten in Messinggussstücken in verkaufsfähiger Qualität. Nun sollte das Bindemittelsystem BF in die vollautomatisierte Mischanlage implementiert werden. Im technischen Zentrum der KLEIN Anlagenbau AG wurde dazu eine Testanlage für die Dosierung konzipiert, aufgebaut und ausführlichen Tests unterzogen. In Zusammenarbeit mit Hansgrohe SE wurde diese Anlage dann in die bestehende Mischer- und Dosierungsanlage vor Ort integriert.
In der Anlagentechnik mussten spezifische Lösungen entwickelt werden, damit die hohen Anforderungen an Präzision und Reproduzierbarkeit der Dosiermenge erfüllt werden konnten. Verantwortlich dafür sind zwei Rahmenbedingungen: das Absetzen der Feststoffe und die Abrasionsfähigkeit. Um ein Absetzen der Feststoffe zu verhindern, muss die Suspension konstant umgewälzt werden. Zudem muss der Schlicker nach einer längeren Systemabschaltung wieder homogenisiert werden. Gleichzeitig war die Anforderung, dass die exakte Dosierung der Suspension bei Bedarf unverzüglich, verlässlich und stets reproduzierbar zur Verfügung steht. Dosierungsgeräte wie Zahnradpumpen sind für diesen Zweck ungeeignet, da aneinander reibende mechanische Komponenten unter der Einwirkung der abschleifenden Eigenschaften des Schlickers bereits nach kurzer Zeit ausfallen würden.
Abbildung 1 illustriert das Prinzip des neuen Umwälzdosiersystems. Liegt aktuell keine Anforderung des Mischers (9) vor, wird der Schlicker durch die Umwälzpumpe (2) konstant in Bewegung gehalten, sodass die Komponenten darin homogen vermischt bleiben. Sobald eine Anforderung für eine Bindemitteldosierung vorliegt, pausiert die Umwälzpumpe. Ventile 3 und 8 werden geschlossen und Ventil 6 wird geöffnet. Das Dosiergerät wird durch den Stellantrieb (5) angesteuert, und der Schlicker wird über Ventil 6 und den Dosierbolzen dosiert. Ist die erforderliche Dosiermenge erreicht, stoppt der Stellantrieb und Ventil 6 wird geschlossen. Ventile 3 und 8 werden geöffnet, die Umwälzpumpe startet erneut und der Stellantrieb kehrt in die Ausgangsposition zurück. Das Gerät ist nun bereit für die nächste Dosierung.
Die KLEIN Anlagenbau AG hat ihr bewährtes und renommiertes Produktsortiment an Balgdosiergeräten nun durch das neue Umwälzdosiergerät BDG-ULD ergänzt. Das BDG 254-ULD dosiert Schlickermengen zwischen 12,5 und 220 Gramm pro Dosierprozess mit einer Genauigkeit von ± 0.6% (über den gesamten Messbereich) zuverlässig und reproduzierbar. Das BDG-ULD kann auf Wunsch mit einer Durchflussregelung ausgestattet werden und bietet eine anwenderfreundliche, in die Steuerung integrierte Funktion zur Mehrpunktkalibrierung. Das Gerät ist voll automatisiert und kann in bestehende Bindemitteldosieranlagen integriert werden.
Bei Hansgrohe SE hat sich das BDG-ULD bereits bewährt. Dem Anspruch, seine weltbekannten Produkte nachhaltig herzustellen, wird Hansgrohe nun gerecht – mit den umweltfreundlichen Bindemitteln von Reinsicht. Schritt für Schritt wird der Anteil anorganischer Bindemittel nun weiter erhöht. Abbildung 2 zeigt das BDG-ULD im kontinuierlichen industriellen Betrieb.
Nach der Entwicklung des BDG-ULD und seiner Bewährung im kontinuierlichen Betrieb sind das umweltfreundliche Bindemittelsystem der Reinsicht GmbH sowie das maßgeschneiderte Balgdosiergerät BDG-ULD der KLEIN Anlagenbau AG nun für den allgemeinen Gebrauch verfügbar.
Dies ist nicht nur für kleinere Gießereibetriebe interessant. Häufig werden Ansprüche an Innovation und die Umsetzung existierender Ideen aus Kapazitätsgründen zurückgestellt. Durch das Angebot gebrauchsfertiger Bindemittel und Mischtechnologien für innerbetriebliche Testläufe ermöglichen Reinsicht und die KLEIN Anlagenbau AG hier niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten. Mit ihrer Fachkompetenz stehen die Unternehmen Prozessanwendern auch bei der Entwicklung optimal angepasster Lösungen zur Seite. Mit diesem Ansatz rücken Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit in erreichbare Nähe.